Wie man eine narzisstische Störung erfolgreich therapieren kann

Veröffentlicht am 2/27/24

Narzissmus wird allgemein als eine negative Persönlichkeitseigenschaft betrachtet, und wird häufig als Ursache (fast) allen Unglücks auf der Welt betrachtet. Doch verbirgt sich hinter diesem Begriff eine Vielfalt an Eigenschaften, welche bis zu einer bestimmten Ausprägung durchaus auch von Vorteil sein können. Nichtsdestotrotz führt eine starke Ausprägung narzisstischer Persönlichkeitseigenschaften zu Nachteilen zunächst für die Umwelt und in Folge auch für die Betreffenden selbst.

Die Therapie narzisstisch gestörter Patient*innen stellt durchaus eine Herausforderung für uns Therapeut*innen dar, nicht zuletzt, weil sie sich auch uns gegenüber häufig idealisierend, distanziert, abwertend u. v. m. verhalten. Dennoch müssen wir uns nicht von einer Zusammenarbeit abschrecken lassen, solange wir uns über die folgenden Basics im Klaren sind:

Basic 1. Man muss zwischen einer grandiosen und einer vulnerablen Form des Narzissmus unterscheiden

Unter Narzissmus wird zumeist dessen grandiose Form verstanden, welche mit den bekannten Verhaltensweisen wie Selbstidealisierung, Anspruchshaltung, Arroganz und Dominanz einhergeht. Weniger bekannt ist jedoch die vulnerable Form des Narzissmus. Vulnerable Patient*innen sind eher introvertiert, haben eine hohe Ausprägung neurotizistischer Eigenschaften und verhalten sich wegen ihrer leichten Beschämbarkeit und Ängsten eher zurückhaltend und defensiv. Doch hinter dieser eher selbstunsicheren Fassade verbergen sich u.a. ausgeprägte narzisstische Fantasien, eine hohe Anspruchshaltung, ein großes Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Beim näheren Kennenlernen, auch in der therapeutischen Beziehung, zeigen sie sich sozial unverträglich und leicht kränkbar.

Vulnerable Patient*innen findet man häufiger als grandiose Patient*innen im therapeutischen Setting, wobei sie jedoch häufig aus Unkenntnis über ihr Störungsbild übersehen und als depressiv bzw. dysthym fehldiagnostiziert werden. Mehr als bei grandiosen Patient*innen muss wegen ihrer leichten Beschämbarkeit und ihres Misstrauens ein besonderer Fokus auf die therapeutische Beziehungsgestaltung gelegt werden.

Basic 2. 80/20-Regel

In der Sozialpsychologie versteht man unter Narzissmus selbstwertdienliche Persönlichkeitseigenschaften wie u.a. Streben nach Anerkennung und Bewunderung, Ehrgeiz, Selbstvertrauen, Durchsetzungsvermögen. Anders, als viele glauben, weisen gesunde narzisstische Personen kein vulnerables Selbst auf, das sie mit ihrem Narzissmus kompensieren. Solange deshalb die damit einhergehenden Verhaltensweisen nicht auf Kosten anderer Menschen gehen und bei diesen Leiden auslösen, sind narzisstische Persönlichkeitseigenschaften eher positiv zu beurteilen, da sie mit einem positiven Selbstwertgefühl, positiven Emotionen, Zufriedenheit, Erfolg u. v. m. einhergehen. Eine sehr niedrige Ausprägung narzisstischer Eigenschaften hingegen korreliert eher mit Selbstunsicherheit, Angst, Depression und anderen psychischen Beschwerden.

"Erst wenn die narzisstischen Eigenschaften mit einem ausgeprägten vulnerablen Selbst einhergehen und die betreffenden Personen zu Aggressivität und Abwertung neigen, muss man von einer maladaptiven bzw. krankhaften Form des Narzissmus sprechen."

In der Psychotherapie narzisstischer Patient*innen sollten dennoch immer ihre adaptiven narzisstischen Eigenschaften i.S. der Ressourcenaktivierung hinreichend gewürdigt werden. Grob gesagt kann man ihnen anhand einer 80/20-Regel verdeutlichen, dass 80% ihrer Persönlichkeit in Ordnung sind, während nur 20% als problematisch und veränderungsbedürftig angesehen werden muss.

Basic 3. Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung ist entscheidend für den Erfolg der Therapie

Wollen wir die therapeutische Arbeit mit narzisstischen Patient*innen vermeiden, so können wir durch eine inkompetente Beziehungsgestaltung für rasche Therapieabbrüche sorgen. Hierzu müssen wir uns nur dominant, konfrontativ, wenig empathisch und wenig ressourcenaktivierend verhalten, um die Patient*innen rasch zu frustrieren, was dann häufig in einem Abbruch der Therapie mündet.

"Mehr als bei anderen psychischen Störungen hängt der Therapieerfolg von der therapeutischen Beziehungsgestaltung ab, welche spezifischen Problemen und interaktionellen Bedürfnissen Rechnung trägt."

Dabei steht die Empathie an vorderster Stelle, weil man nur hierüber den Patient*innen es ermöglicht, ihre narzisstische Fassade und das Misstrauen abzulegen und sich ihrem vulnerablen Selbst zuzuwenden, was für die Therapie von großer Bedeutung ist. Darüber hinaus kommen insb. die komplementäre Beziehungsgestaltung, die kontingente Rückmeldung, die therapeutische Selbstoffenbarung und die empathische Konfrontation zur Anwendung.

Doch die therapeutische Beziehung ist auch Ort der Problemaktualisierung narzisstischer Erlebnis- und Verhaltensweisen, was cum grano salis aus der Tiefenpsychologie als Übertragung bekannt ist. Um mit narzisstischen Patient*innen effektiv zu arbeiten, müssen wir uns auf eine intensive Beziehung einlassen können, unsere persönliche Reaktion auf Idealisierung, Abwertung etc. kennen und regulieren können und uns nicht zuletzt auch persönlich u.a. im Sinne einer therapeutischen Selbstoffenbarung einbringen können und wollen. 

Dies alles ist nur leistbar, wenn wir uns wirklich für narzisstische Patient*innen interessieren und bereit sind, hinter ihre teilweise wenig sympathischen Fassade zu schauen und ein Mitgefühl für ihr prima vista verborgenes vulnerables Selbst und ihre frustrierten Bedürfnisse zu entwickeln.

Basic 4. Wenig Konfrontation

Natürlich reizt es auch uns Therapeut*innen immer wieder, narzisstische Patient*innen mit ihren dysfunktionalen Erlebnis- und Verhaltensweisen zu konfrontieren, ihnen deutlich zu verstehen geben, dass es so nicht geht! Solche Art der Konfrontation muss man aber zu den Anfängerfehlern rechnen, da sie zum einen bei den Patient*innen auf Widerstand stoßen und zum anderen auf Kosten der therapeutischen Beziehung gehen. Ziel des therapeutischen Vorgehens ist es vielmehr, das vulnerable Selbst zu thematisieren und die hier verborgenen maladaptiven Emotionen wie insb. Scham, Angst und Hilflosigkeit zu klären und zu verändern. Dies geht Hand in Hand mit der Identifikation von adaptiven Bedürfnissen (insb. nach Zugehörigkeit, Geborgenheit, Akzeptanz), welche sich hinter den genannten Emotionen verbergen. Diese adaptiven Bedürfnisse zu benennen, zu akzeptieren und in entsprechende Handlungen umzusetzen ist ein Hauptstrang der Therapie, was einer ausgesprochen empathischen und eben nicht-konfrontativen Beziehungsgestaltung bedarf.

Basic 5. Perspektivwechsel bzw. Training der kognitiven Empathie

Da dysfunktionale Interaktionen entscheidend für das Leiden narzisstischer Patient*innen und ihrer Mitmenschen sind, wird bei der Therapie ein besonderes Augenmerk auf die Analyse und Neugestaltung von Interaktionen gelegt. Dabei kommt insbesondere die Interaktionsanalyse zum Einsatz. Während die klassische Verhaltensanalyse egofokussiert ist, da sie Problemsituationen nur aus der Sicht der Patient*innen untersucht, spielen bei der Interaktionsanalyse die Bedürfnisse und Motive der anderen Person eine entscheidende Rolle. Die Patient*innen werden also immer wieder dazu angehalten die Perspektive zu wechseln und sich anhand von Problemsituationen in das Innere ihres Gegenübers zu versetzen und sich zu fragen, was er bzw. sie in diesem Augenblick gefühlt, gedacht und gewollt hat (Training der kognitiven Empathie). Hierauf aufbauend können sie dann an einer Neugestaltung ihres Verhaltens arbeiten, welches verstärkt auf eigene, bislang vermiedene Bedürfnisse (wie z.B. Zugehörigkeit, Stabilität von Beziehungen) als auch auf die Bedürfnisse der anderen Personen ausgerichtet ist.

 

Quellen:
Lammers, C.-H. (2023). Narzisstische Störung. Göttingen: Hogrefe Verlag
Lammers C.-H. (2021). Beziehungsgestaltung mit narzisstischen Menschen. Köln: Psychiatrie-Verlag

Mehr zur Buchreihe Fortschritte der Psychotherapie

Prof. Dr. Claas-Hinrich Lammers, geb. 1962, 1983–1990 Studium der Medizin in Hamburg, 1990 Promotion im Fach Psychiatrie. Facharztausbildung am Max-Planck-Institut in München und an den Universitätskliniken von Marburg und Lübeck. Mehrjährige Forschungsaufenthalte am Centre Paul Broca, Paris und am NINDS, Bethesda im Bereich der molekularen Neurobiologie. Oberarzt an der Universitätsklinik Lübeck und der Charité, Seit 2006 Ärztlicher Direktor und Chefarzt der I. Klinik für Affektive Störungen und der III. Klinik für Akutpsychiatrie und Psychose, Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, Hamburg.

Arbeitsschwerpunkt: Persönlichkeitsstörungen, Emotionsregulation